TRAINING ERHÖHT DIE FEINFÜHLIGKEIT DER FINGERKUPPE NACHHALTIG Leichteres, schnelleres Braillelesen möglich
empfehlenTitel: | TRAINING ERHÖHT DIE FEINFÜHLIGKEIT DER FINGERKUPPE NACHHALTIG Leichteres, schnelleres Braillelesen möglich |
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Form: | Aufsatz / Artikel |
Autor(en): | Heinz Willi Bach |
Jahr: | 2007 |
Veröffentlicht in: | online: http://www.vbs-gs.de/vbs.html |
Auszug: | Dr. H. W. Bach TRAINING ERHÖHT DIE FEINFÜHLIGKEIT DER FINGERKUPPE NACHHALTIG Leichteres, schnelleres Braillelesen möglich – Ein Forschungsbericht Mit dem Tastsinn beschäftigen sich die Arbeitsgruppen um Hubert Dinse vom Institut für Neuroinformatik der Ruhr-Universität Bochum und Martin Tegenthoff von der Uni- Klinik Bergmannsheil bereits seit Längerem. In früheren Untersuchungen der Bochumer Neurowissenschaftler wurde bereits ermittelt, dass sich die Sensibilität der Fingerkuppen allein durch passives Training verbessern lässt. Bei der Versuchsanordnung regte man kleine Areale an der Spitze des rechten Zeigefingers einige Stunden lang durch einen mechanischen Reiz an. Der Proband blieb passiv, er wurde durch den kaum spürbaren Reiz auch nicht gestört, nervös gemacht oder anderweitig beeinträchtigt. Das Ergebnis des Experimentes ist, dass die Probanden mit diesem Finger anschließend feinere Unterschiede ertasten können. Bei den differenzierteren Experimenten aus jüngster Zeit stimulieren die Forscher mit einer beweglichen Membran bei mehreren Versuchspersonen drei Stunden lang kleine Hautbezirke an den Spitzen der rechten Zeigefinger. Hierdurch werden gleichzeitig mehrere benachbart liegende Nervenenden aktiviert. Diese Behandlung verbessert den Tastsinn deutlich. Die Teilnehmer können nunmehr die Spitzen von zwei eng beieinander liegenden Drahtstiften unterscheiden. Dies war ihnen vor der Behandlung nicht möglich. Ebenfalls war und ist es mit der Kuppe des (unbehandelten) linken Zeigefingers nicht möglich. Da nahmen/nehmen sie die Stifte lediglich als eine Erhebung wahr. Anscheinend ist durch die Stimulation die Schwelle gesenkt worden, bei der Nervenzellen auf ein Signal reagieren und es weiter leiten. Um die molekularen Grundlagen des Lerneffektes zu studieren, wandelte die Bochumer Arbeitsgruppe die Versuchsanordnung um. Zusätzlich zur mechanischen Stimulation der Fingerspitzen erhalten die Teilnehmer nunmehr eine psychoaktive Substanz verabreicht. Entweder handelt es sich um Amphetamin, das das sog. adrenerge System aktiviert. Oder es wird Menatine verabreicht; dies blockiert eine bestimmte Gruppe von Bindungsstellen auf Nervenzellen, die sog. NMDA-Rezeptoren. Diesen nämlich misst man entscheidende Bedeutung für die Veränderungen an den Kontaktstellen der Nervenzellen zu, die für die Plastizität des Gehirns verantwortlich sind. Erwartungsgemäß macht Menatine tatsächlich den Effekt des passiven Trainings zunichte. Amphetamin hingegen verstärkt ihn noch und zwar auf den zweifachen Wert. Ohne mechanischen Stimulus hat keine der Substanzen einen messbaren Einfluss auf das Tastvermögen. Dies kann man am Zeigefinger der linken Hand verifizieren. Messungen der Hirnaktivität ergeben: Die erhöhte Feinfühligkeit des rechten Zeigefingers geht mit einer größeren Repräsentation im zuständigen Gebiet der Großhirnrinde einher. Die Verbesserung des Tastsinns ist eindrucksvoll, aber nicht von Dauer. Nach einem Tag haben die Nervenzellen das Erlernte offenbar wieder „vergessen“. Wird hingegen das Training wiederholt an aufeinander folgenden Tagen durchgeführt, hinterlässt es ersten Beobachtungen zu Folge eine „Erinnerungsspur“ im Gehirn, die zunahmend gefestigt wird. Die Forscher hoffen, die neuen Einflicke in die Neurophysiologie unbewussten Lernens künftig therapeutisch anwenden zu können, etwa in der Rehabilitation, zumal der Patient dabei nicht aktiv mitarbeiten muss. Dinse glaubt ohnehin, dass die Menschen am Beginn einer neuen, durch zunehmende Interaktionen mit dem Gehirn gekennzeichnete Ära stehen99. Die Ergründung von Möglichkeiten, blinden und sehbehinderten Menschen zu helfen, etwa das Lesen der Blindenschrift leichter zu erlernen oder die Lesegeschwindigkeit zu erhöhen, steht noch ganz am Anfang. Der Verf. hat in einem Gespräch mit Prof. Tegenthoff auf dieses Untersuchungsfeld aufmerksam gemacht, das auf großes Interesse stößt. Erste Versuche mit der Brailleschrift sollen in kommende Testanordnungen einbezhogen werden. Quellen: Dinse H. R., Tegenthoff M. et al.: Pharmacological Modulation of Perceptual Learning and Associated Cortical Reorganization, in : Science, Band 301 vom 4. Juli 2003, S. 91 – 94 Gefühl lässt sich erlernen, Trainierter Tastsinn an der Fingerkuppe: Das Gehirn ist beeindruckt (R. W.) in, FAZ – Aus Natur und Wissenschaft – vom 16. Juli 2003 (Quelle: http://www.vbs-gs.de/vbs.html) |